Stress im Beruf #1: Nicole, Grundschullehrerin

Ich habe Nicole in meiner Praxis in Deutschland kennen gelernt. Ihre Geschichte hat mich besonders berührt, weil sie mich so an meine eigene erinnert hat. Ich war ja selbst 15 Jahre lang Lehrerin.

Als sensibler Mensch im System Schule zu arbeiten und dabei gesund zu bleiben ist eine große Herausforderung. Wie Nicole Schule erlebt hat und wo sie heute steht, das erzählt sie hier.

 
Ein leeres Klassenzimmer in der Grundschule
 

Seit einem Jahr raus aus der Schule

“Ich bin jetzt seit einem Jahr nicht mehr in der Schule gewesen. Nach 15 Jahren hatte sich für mich so viel geändert, dass es einfach nicht mehr ging. Totale berufliche Krise.

Dabei liebe ich meinen Beruf – eigentlich. Nach meiner Banklehre habe ich mich ganz bewusst für das Studium entschieden, weil ich so gerne mit Kindern arbeiten wollte. Und in den ersten Berufsjahren hat mir die Arbeit wirklich viel gegeben. Ich hatte immer Freude an den Kindern und der schönen kindlichen Art. Zu den Schülern eine Beziehung aufzubauen, sie zu unterstützen und ihnen den Schulalltag so schön wie möglich zu machen hat mich motiviert und bereichert – und das wäre auch heute der Grund, vielleicht doch in den Schuldienst zurückzukehren. Mal gucken.”

 

Ver-rückter Fokus

“In den 15 Jahren, in denen ich als Lehrerin gearbeitet habe, hat sich der Fokus total verschoben: Der Unterricht, das eigentliche „Kerngeschäft“, ist immer mehr in den Hintergrund getreten. Gleichzeitig ist der Aufgabenberg immer größer geworden, und ich wurde immer gestresster, fühlte mich erschlagen von all dem, was mit dem eigentlichen Beruf nur wenig zu tun hat.

Zum Schluss waren es vielleicht 10% meiner Energie, die in die Arbeit mit meinen Schülern geflossen sind. 90% meines beruflichen Alltags waren andere Aufgaben.”

 

Ständiger Druck

“Was mich vor allem gestresst hat, das war diese ständige Erreichbarkeit, die meine Schulleitung sogar erwartet hat, wenn ich krank war. Ich habe dann trotzdem jede Menge Mails erhalten, in denen oft mitschwang, dass ich doch bitte ganz bald wieder für meine Pflichten verfügbar sein soll. Für mich war das Stress pur.

An Schultagen war ich maximal in meiner Flexibilität gefragt. Wegen der knappen Personalsituation musste ich andauernd einspringen: mal hier, mal da. Da war kaum ein Tag planbar.

Ständige Konferenzen, Teamsitzungen, Arbeitsgruppen und der Druck, die Vorgaben des Lehrplans und der Politik erfüllen zu müssen, haben das Stresspaket abgerundet.

Das alles hatte mit dem, was ich mir vom Beruf der Grundschullehrerin versprochen hatte, herzlich wenig zu tun. Deshalb hatte ich oft ein schlechtes Gewissen meinen Schülern gegenüber, denen ich nicht den Unterricht bieten konnte, den ich ihnen gerne geboten hätte. Und ich habe gesehen, wie viele Kinder schon in der dritten oder vierten Klasse die Lust am Lernen verloren haben. Das finde ich echt traurig.”

 

Der private Blick aufs System Schule

“Bei meiner eigenen Tochter habe ich mich schwergetan, sie ins System Schule zu schicken. Ich wünsche ihr, dass sie so lange wie möglich mit Freude lernen kann. Und ich erlebe an der Grundschule, in die sie geht: Ja, es ist möglich. Dort stehen die Kinder mehr im Fokus, als ich es erlebt habe. Und doch sehe ich auch da, wie gestresst die Lehrerinnen und Lehrer sind, z.B. wenn ich als Lesemama zu Besuch bin.”

 

Ernüchtertes Fazit und großes Vielleicht

“Eine knallharte Herausforderung ist es, in diesem System der permanenten Überforderung gesund zu bleiben. Mir jedenfalls ist das nicht gelungen und wurde zu meiner persönlichen Katastrophe, als ich selbst Mutter wurde. Vereinbarkeit von Familie und Beruf? – Das kann man im Lehrberuf vergessen. Denn de facto bleibt kaum mehr Energie für die eigene Familie. Man landet also im Teufelskreis der gefühlten Unzulänglichkeit: Den Schülern wird man nicht gerecht, dem eigenen Kind nicht und sich selbst – erst recht nicht mehr. Gleichzeitig war ich nicht mehr in der Lage wahrzunehmen, wie sehr ich am Limit war, war blind für meine eigenen Leistungsgrenze. Keine Zeit, die nächste Aufgabe wartet schon! Bis gar nichts mehr ging und ich einen radikalen Schnitt gemacht habe.

Dann habe ich mir irgendwann die Frage gestellt: Will ich das noch, als Lehrerin arbeiten? Und erstmal war die Antwort ganz klar: NEIN! Heute, mit Abstand, schließe ich eine behutsame Wiedereingliederung nicht mehr aus. Und dann schau ich vielleicht mal, was ich Schule noch geben kann. Fest steht: Das System kann ich nicht verändern. Aber ich kann mein eigenes Anspruchsdenken verändern und entscheiden: Ich gebe das, was ich geben kann.

So könnte es vielleicht gehen. Großes VIELLEICHT.”

 

Und du?

Kennst du das auch: nicht mehr sicher zu sein, ob du in deinem Beruf richtig bist? Vielleicht überlegst du ja auch, die Weichen neu zu stellen und Veränderung zu wagen. Vielleicht hast du den Schritt auch schon gemacht.

Wenn du auch eine berufliche Veränderungs-Geschichte zu erzählen hast, schreib uns gerne eine Nachricht. Wenn’s passt, verabreden wir uns zum Interview.

Vielleicht hast du zwar Lust, den Job zu wechseln oder dich in deinem Job zu verändern, traust dich aber noch nicht. Dann schau doch mal, ob eine Auszeit bei uns vielleicht der passende Startpunkt für deine Veränderung sein kann.

 

Hier geht’s zu unserem Erholungskonzept.

 


 
Zurück
Zurück

Lebensenergie steigern: 7 Wege aus dem mentalen Tief

Weiter
Weiter

Immer im Stress? – An einem dieser BIG FIVE könnte es liegen!